FÜR EINE WELT OHNE GENOZID HEIMAT FÜR ALLE – HEIMAT FÜR DIE ARMEN

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs urteilten die Völker über die Zivilisation, die die Menschheit in diese Krise geführt hatte, und stellten fest, dass sich diese viele Male der Rassismen, Aggressionen und Völkermorde schuldig gemacht hatte. 1948, mit der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (letzterer bezeichnet nicht nur die Auslöschung eines ganzen Volkes, sondern jede Handlung, die „in der Absicht begangen wird, eine [nationale, ethnische, religiöse] Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“), entschied man sich für die Schaffung einer von Völkermord freien Zivilisation gleicher Völker.
Heute jedoch scheint die Welt zu entscheiden und zu regieren, als sei das Ja zu dieser Entscheidung niemals gefallen. Die nuklearen Kriegsspiele zwischen Nordkorea und USA bedeuten de facto, die Hypothese des Mordes an einem Volk, mehreren Völkern, ja an der Weltbevölkerung zuzulassen. Allein der Anspruch, die Zerstörung eines Volkes beim Sturz missliebiger Regimes als „Kollateralschaden“ zu betrachten, ist bereits Völkermord. Auch die Konzentration der globalen Reichtümer in Händen einer winzigen Minderheit, die „eine Wirtschaft, die tötet“ aktiviert, ist eine Form des Völkermords, denn sie bedroht das Leben ganzer Bevölkerungen, die vom globalen Markt ausgeschlossen werden. Die Zerstörung der Erde und die Beschleunigung der Erderwärmung sind ein Ökozid, bei dem die Profitgier von heute gegen den Völkermord von morgen getauscht wird. Das Ziel von Völkermord ist die Auslöschung anderer Menschen, und genau dies geschieht, wenn Migranten und Flüchtlinge abgefangen, von Hunden und Mauern abgehalten, von Schiffen und Bewaffneten zurückgedrängt und diskriminiert werden, je nachdem, ob sie vor Krieg oder Hungersnot fliehen. Sie werden aus dem Blickfeld der anderen entfernt, als existierten sie nicht. All dies bedeutet, die Zukunft unserer Zivilisation auf dem Verleugnen der Existenz anderer Menschen  aufzubauen. Diese Praktiken sind nicht nur bösartig, sondern entbehren jeden vernünftigen Grundes, ohne jemals positive Ergebnisse zu zeitigen. Entgegengesetzte Entscheidungen könnten sich dagegen als weitaus wirksamer und vorteilhafter erweisen, als politisch möglich und konsensfähig.
Die heutige Migrationsbevölkerung besteht aus vielen verschiedenen Nationen. Die Illusion, die Zivilisation zu bewahren, obgleich man Teile der Welt aussondert, ist besonders tragisch: Denn dadurch, dass Migranten und Flüchtlingen Aufnahme und Integration verweigert werden, macht man diese Menschen zu Illegalen und kriminalisiert sie, nicht weil sie Unrecht tun, sondern lediglich, weil sie existieren. Die Konsequenz ist, dass Rechtsstaaten und konstitutionelle Demokratien sich selbst verraten: Neben den Bürgern als Rechtssubjekten gibt es Massen von sich illegal Aufhaltenden, die für das Recht unsichtbar und dadurch jeglichen Schikanen und jeglicher Ausbeutung ausgesetzt sind, wo sie doch auf demselben Boden leben und das gleiche Blut durch ihre Adern fließt.
In dieser Situation wird ein Begriff hochaktuell, den der Apostel Paulus zu Beginn des Christentums verwendet. Als „Geheimnis der Anomie“ bezeichnet Paulus den Verlust jedweden Gesetzes und die Anmaßung des „gesetzlosen“ Menschen und der „gesetzlosen“ Macht, sich über alles andere zu stellen und als Gott gebaren zu wollen. Doch in dieser Intuition der christlichen Ursprünge kündigte sich bereits das „Kathékon“ an – gleichbedeutend mit Widerstand, Antagonismus, um die Kräfte der Zerstörung[1] zu bändigen und den Triumph des Endes zu verhindern, was seinerzeit den Weg zur Lösung der Krise geebnet hat.
Wie man den Begriff „Kathékon“ im Einzelnen auch auslegen mag – wir, die Unterzeichner dieses Appells, fordern eindringlich von den Völkern, Widerstand zu leisten und sich diesen Praktiken entgegen zu stellen. So wie dies bereits im 20. Jahrhundert geschehen ist, als sich die weltweite Friedensbewegung unter Verzicht auf Gewalt zwischen die Atomraketen und die der Auslöschung geweihte Menschheit stellte und so den Abzug der Bedrohung erwirkte und einen Atomkrieg verhinderte.
Heute bestehen für den Widerstand durch Aktion zwei dringende Prioritäten:
1. Mobilisierung für die zeitgleiche Unterzeichnung und Ratifizierung durch die Atommächte des UN-Atomwaffenverbotsvertrags, den die Mehrheit der Nationen bereits unterzeichnet hat;
2. Mobilisierung für die Anerkennung und Umsetzung des universalen Rechts auf Migration und Niederlassung an Orten, die zur Entfaltung des Lebens besonders geeignet sind. Eines der ältesten „Naturrechte“ der Moderne ist das Ius migrandi, treibende Kraft für eine tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Erneuerung und wirkungsvollstes Gestaltungselement für eine neue Weltgesellschaft, eine geeinte Menschheit, die die Hüterin von Mutter Erde ist.
 
Ziel unseres Appells ist zu erreichen, dass diese Sicht von der Welt und der künftigen Zivilisation kein Ideal bleibt, sondern zu Widerstand und Aktion führt und eine echte „Bewegung“ zeitigt.[1] „Ihr wisst auch, was ihn jetzt noch zurückhält (kathékon)“, 2 Thess. 2, 7-8.

16/10/2017